«Ohne Sport werde ich grantig» – wie Fitnessfans, Wirte und Menschenaffen den Öffnungsschritt erleben

Zu Besuch im Restaurant, im Fitnesscenter und im Zoo.

Jan Hudec, Selina Schmid, Claudia Rey, Text; Christoph Ruckstuhl, Bilder
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Die Restaurant-Terrassen sind wieder offen – und die Zürcher nehmen dankbar Platz. Hier geniessen Gäste am Limmatquai die wiederbelebte Gastronomie.

Die Restaurant-Terrassen sind wieder offen – und die Zürcher nehmen dankbar Platz. Hier geniessen Gäste am Limmatquai die wiederbelebte Gastronomie.

Gaëtan Bally / Keystone

Vier Monate. So lange mussten Sportler auf den Besuch des Fitnesscenters verzichten, mussten Gourmets darauf warten, wieder im Restaurant bekocht zu werden, und konnten Tierfreunde das Affenhaus im Zoo Zürich nicht mehr besuchen. Seit Montag ist Schluss mit Warten. Im Gegensatz zu den umliegenden Ländern hat die Schweiz beschlossen, einen weiteren Schritt aus dem Lockdown zu wagen. Aber nutzt die Bevölkerung die neu gewonnenen Freiheiten auch? Wir haben uns umgeschaut im Fitnessstudio, im Zoo und auf einer Restaurantterrasse.

Fitnesspark Stadelhofen: «Lieber mit einer Maske trainieren als gar nicht»

Fitnesspark beim Bahnhof Stadelhofen. Es ist 10 Uhr 30. Die Trainingsvelos surren, Gewichte an den Fitnessgeräten klackern, mitten im Saal sitzt eine Frau mit geblümter Stoffmaske und drückt ihre Schienbeine gegen eine Schaumstoffrolle, um diese in die Höhe zu stemmen. Die Handgriffe, die an den Seiten des Sitzes angebracht sind, hält sie mit in Desinfektionsmittel getränkten Tüchern fest, die den Kunden hier als sogenannte «Gymwipes» zur Verfügung stehen. Sport in Zeiten der Pandemie.

Monika Wydler, die Frau mit der Blumenmaske, ist trotzdem froh, dass sie wieder hier sein darf. «Wenn ich länger keinen Sport machen kann, werde ich grantig.» Es sei schon anstrengender, mit der Maske zu trainieren, sagt sie. Vor allem bei den Ausdauerübungen spüre man das. Im ganzen Fitnesscenter gilt Maskenpflicht. «Aber lieber mit einer Maske trainieren als gar nicht», findet Wydler. Man müsse halt das Beste aus der Situation machen.

Auch der Betriebsleiter Daniele Paar sagt, dass man sich erst einmal ans Trainieren mit der Maske gewöhnen müsse. «Man kann sicher nicht das gleiche Trainingsniveau erreichen wie ohne.» Das sei jetzt für viele aber gar nicht entscheidend, es gehe mehr darum, überhaupt wieder richtig trainieren zu können. Gerade auch für Personen, die mit dem Sport Rückenschmerzen oder andere Leiden bekämpften. Viele hätten im Lockdown an Fitness eingebüsst.

In den Fitnessstudios gilt ein Maskenobligatorium.

In den Fitnessstudios gilt ein Maskenobligatorium.

Auch der Tuchautomat soll dabei helfen, dass sich vor dem Eingang des Fitnessparks beim Bahnhof Stadelhofen keine Schlangen bilden.

Auch der Tuchautomat soll dabei helfen, dass sich vor dem Eingang des Fitnessparks beim Bahnhof Stadelhofen keine Schlangen bilden.

Ein Kunde beschreibt es so: Gerade in den Beinen habe er eindeutig weniger Kraft, er könne nicht mehr so viel Gewicht stemmen. Der Betriebsleiter Paar meint, es sei nicht zuletzt auch deshalb wichtig, dass die Fitnesscenter ihre Türen wieder öffnen konnten. «Auch wir leisten etwas für die Gesundheit der Bevölkerung.»

Im Fitnesspark gelten selbstverständlich Schutzmassnahmen. Abgesehen davon, dass man überall eine Maske tragen muss, sind diejenigen Ausdauergeräte, die näher beieinanderstehen, mit Plastikwänden voneinander getrennt. Die Kunden werden durch Informationstafeln dazu aufgefordert, die Geräte nach jeder Benützung zu desinfizieren. Auch das Reinigungspersonal mache immer wieder Rundgänge, sagt Paar. Vor allem aber ist die Besucherzahl limitiert. Auf den drei Stockwerken dürfen sich maximal 130 Personen aufhalten, inklusive Personal. In den einzelnen Bereichen gelten dann nochmals separate Obergrenzen. Online kann man sich live darüber informieren, wie gut das Fitnesscenter bereits ausgelastet ist.

An diesem Montagmorgen sind es gut 50 Besucher, und selbst nach dem Mittag werden es nicht viel mehr als 70 sein. «Wir werden eindeutig noch nicht überrannt», sagt Paar. Für den ersten Tag nach dem Lockdown sei er aber schon ganz zufrieden, vor allem hätten die Kunden und die Angestellten Freude, dass endlich wieder etwas laufe. «Aber wir brennen schon darauf, einmal zu sehen, wie gut der Fitnesspark unter normalen Bedingungen laufen würde», sagt Paar. Denn eröffnet wurde er erst im letzten August. Nach nicht einmal fünf Monaten ging es dann bereits in den Lockdown.

Monika Wydler hat in dieser Zeit kurzerhand ihr Schlafzimmer zum Fitnessstudio umfunktioniert. Die Migros, die den Fitnesspark beim Bahnhof Stadelhofen betreibt, hat den Kunden Online-Trainings zur Verfügung gestellt. Das sei wirklich praktisch gewesen, sagt Wydler, aber natürlich sei es nicht das Gleiche, wie im Fitnesscenter zu trainieren. Sie habe sich zwar ein paar Hanteln und Gummibänder gekauft, aber die Geräte liessen sich damit nicht ersetzen. Zudem habe sie eine lärmempfindliche Nachbarin und habe deshalb bei den Übungen mit Sprüngen in ihrem Training jeweils zurückhaltend sein müssen. «Als Zwischenlösung war das gut, aber jahrelang könnte ich das nicht so machen.»

Zoo Zürich: «Es fühlt sich an wie ein Schritt in die Normalität»

9 Uhr am sonnigen Montagmorgen vor dem Zoo Zürich. Junge Familien und Schulklassen warten in Schlangen vor dem Eingang. Die Linien am Boden schreiben Abstand vor, doch so ganz will es nicht klappen. Kleine Kinder springen zwischen den Absperrbändern herum, die Erwachsenen zupfen an ihren Masken. Die Pfauen und Papageien rufen im Hintergrund.

Am Montag hat der Zoo seine Tierhäuser und Restaurantterrassen geöffnet. Die Aussenanlagen konnte der Zoo bereits bei der letzten Lockerung im März in Betrieb nehmen. Wer Glück hatte, konnte schon damals jene Zootiere besuchen, die sich in ihren Aussengehegen aufhielten. Pascal Marty, Kurator des Zoos, sagt: «Ab heute kann man zusätzlich die Krokodile und die Pfeilgiftfrösche besuchen, doch ein Ausflug in den Zoo hat sich schon davor gelohnt.» Mit einem Ansturm auf die Tierhäuser rechnet er deshalb nicht.

Dr. Pascal Marty

Dr. Pascal Marty

Zoo Zürich

Damit scheint er Recht zu behalten. Trotz den Schlangen vor den Ticketschaltern verteilt sich die Menschenmenge rasch. In den Tierhäusern lässt sich der Abstand meist einhalten. Ein Rentnerpaar vor dem Gorilla-Gehege zeigt sich positiv überrascht, wie viel Platz man habe, um den Silberrücken zu bestaunen. Ein Besucher aus Basel sagt: «Ich freue mich, den Zoo fast uneingeschränkt geniessen zu können. Es fühlt sich an wie ein Schritt in die Normalität.»

Die Pandemie bleibt aber präsent. Es gilt eine generelle Maskenpflicht für alle ab 12 Jahren. Zahlreiche Veranstaltungen wie das Füttern der Erdmännchen sind bis auf weiteres abgesagt, und ein Tafelsystem zählt die Besucher in den Tierhäusern. Eine Zürcher Mutter sagt: «Ich finde das gut, solange es die Corona-Massnahmen gibt.» Sie und ihre Kinder freuen sich auf die Lewa-Savanne und auf die Menschenaffen.

Manche kleine Tierhäuser wie etwa das Schildkrötenhaus oder die Lori-Voliere sind nach wie vor geschlossen. «Jedoch war dies unsere Entscheidung, da es in diesen Häusern für die Besucherinnen und Besucher eher schwierig ist, einander auszuweichen», sagt Pascal Marty. Auch ist die totale Besucherzahl des Zoos auf knapp 5800 Personen gleichzeitig beschränkt – jedoch sei dieser Wert noch nie erreicht worden.

Sie hätte für ein profitables Jahr 2020 sorgen sollen: die neue Lewa-Savanne im Zoo Zürich.

Sie hätte für ein profitables Jahr 2020 sorgen sollen: die neue Lewa-Savanne im Zoo Zürich.

Karin Hofer / NZZ
Der Silberrücken N’Gola in der Gorillagruppe kann wieder besucht werden.

Der Silberrücken N’Gola in der Gorillagruppe kann wieder besucht werden.

Annick Ramp / NZZ

Auf die Öffnung der Innenbereiche hat sich der Zoo vorbereitet. So musste das Personal für die Gastronomie eingeteilt werden, dafür wurde ein Teil der Belegschaft aus der Kurzarbeit geholt. Auch galt es, die Tierhäuser für die Besucher aufzuräumen. Pascal Marty sagt: «Als die Häuser geschlossen waren, liess man allenfalls einen Gartenschlauch liegen, da man ihn sowieso bald wieder braucht.»

Wer sich dagegen nicht auf die Besucher vorbereiten musste, waren die Tiere. Ihr Verhalten habe sich während der Pandemie kaum verändert. Der Kurator Pascal Marty sagt: «Für die meisten Tiere sind wir Menschen Hintergrundrauschen, sie interessieren sich nicht sonderlich für uns.» Für den Zoo sei dies ein gutes Zeichen, denn es zeige, dass es den Tieren mit und ohne Besucher gut gehe.

Die Menschenaffen bildeten da eine Ausnahme. Für sie stehen zwar Aktivitäten zur Verfügung, mit denen sie sich beschäftigen können. Doch sie beobachten die Besucher gerne, besonders die beiden von Hand aufgezogenen Gorillaweibchen. «Da merkt man, dass das Interesse gegenseitig ist.»

Tatsächlich scheint einer der Gorillas an einer Gruppe Kinder Gefallen gefunden zu haben. Die Kleinen stehen am Rand seines Geheges, die Hände gegen das Glas gepresst. Minutenlang bleibt er sitzen und beobachtet, wie die Kinder zunehmend aufgeregt herumspringen. Derweil freuen die sich, einem der Gorillas so nahe zu kommen.

2020 hätte für den Zoo Zürich aufgrund der Eröffnung der Lewa-Savanne ein starkes Jahr werden sollen. Die Pandemie hat dies aber verhindert. Im Lockdown kostete jede Woche den Zoo eine Million Franken, weil Tiere und Pflanzen auch in der Krise versorgt sein müssen und den Mitarbeitern in Kurzarbeit der Lohnverlust ausgeglichen wird. Die Ausfälle des Frühlings waren hoch, aber immerhin verlief der Sommer gut. «Angesichts der Umstände sind wir zufrieden», sagt Marty.

Nicht alles an der Corona-Strategie des Bundesrats kann Pascal Marty nachvollziehen. Etwa durften Museen und Bibliotheken im März öffnen, die Tierhäuser im Zoo blieben aber geschlossen. Punkto Ansteckungsrisiko wären beide Räume ähnlich, und Schutzkonzepte wären auch im Menschenaffenhaus umsetzbar. «Doch wir waren froh, überhaupt öffnen zu können.»

Restaurant Buech in Herrliberg: «Heute Mittag sind wir ausgebucht»

Am Freitag war Stefan Gunzinger noch skeptisch: «Bis jetzt haben wir noch keine einzige Reservation für den Montag. Der Wetterbericht sieht ja auch nicht besonders gut aus», sagte er am Telefon.

Doch an ebendiesem Montag, 19. April, kurz vor 11 Uhr, scheint die Sonne auf die Terrasse des Restaurants Buech in Herrliberg und Gunzinger, der Geschäftsführer, hat Positives zu berichten: «Wir sind heute am Mittag ausgebucht. Wir freuen uns sehr.» 36 Gäste werden erwartet. Und auch in den kommenden Tagen ist die Terrasse mit Blick auf den Zürichsee gut gebucht. Mehrere Anrufer muss Gunzinger an diesem Morgen auf einen anderen Tag vertrösten.

«Die Gäste sind zuversichtlich. Ganz anders als noch im letzten Jahr», sagt er. Damals seien nur noch Absagen hereingekommen, keine neue Buchungen mehr. In diesem Jahr hingegen habe er bereits viele Anfragen für grössere Gesellschaften erhalten. «Ich muss ehrlich sein, wir nehmen alle Anfragen an.» Ob die Bankette dann tatsächlich durchgeführt werden könnten, müsse man ad hoc anschauen, sagt Gunzinger. Wie so vieles in diesen Tagen in der Gastronomie spontan geschehen muss. Gunzinger und sein Team sind abhängig vom Wetterbericht. Tische nach drinnen zügeln dürfen sie nicht. Weder bei Regen, bei Sturm, noch bei Schnee.

Die Gäste kommen am Montag etwas später – sie warten, bis es wärmer wird.

Die Gäste kommen am Montag etwas später – sie warten, bis es wärmer wird.

Das Personal wird am Eröffnungstag von Geschäftsführer Stefan Gunzinger (rechts) instruiert.

Das Personal wird am Eröffnungstag von Geschäftsführer Stefan Gunzinger (rechts) instruiert.

Um 11 Uhr 27 stehen die ersten zwei Gäste in Winterjacken auf der Gartenterrasse, sie haben vorab reserviert. Einer der Kellner führt sie zum Tisch. Neun Grad kalt ist es an diesem Mittag in Herrliberg. Gunzinger bringt den beiden Gästen Decken. Bald will er auch einen Heizpilz aufstellen, dieser sei schon bestellt, sagt er.

Wenige Minuten später setzt sich ein älteres Ehepaar an einen der Vierertische, kurz darauf stösst ein junges Paar dazu. Die vier stossen an: auf das Sechseläuten und den Böögg, dem heuer in der Schöllenenschlucht der Kopf explodiert anstatt auf dem Sechseläutenplatz. Gunzinger macht ihnen die Tagesspezialitäten schmackhaft: Hummersalat und weisse Spargeln. Einer der beiden Praktikanten im Team steht daneben und hört aufmerksam zu. Auch für ihn war die Situation in den vergangenen Wochen schwierig. Lange war unklar, wann er das Praktikum beginnen kann.

Die restlichen Gäste kommen an diesem Montag spät. Erst gegen 13 Uhr, als die Temperaturen etwas gestiegen sind, füllt sich die Terrasse. Das Team hat die Öffnungszeiten den Bedürfnissen angepasst. Normalerweise wäre das Restaurant zwischen 15 Uhr und 18 Uhr geschlossen. Zimmerstunde. Nun ist die Gartenterrasse durchgehend offen, warmes Mittagessen können die Gäste bis 15 Uhr bestellen. Danach gibt es Suppen, Kuchen und kalte Platten für die Wanderer und Velofahrer, die spontan vorbeikommen.

«Wenigstens etwas Gutes hatte der Lockdown. Wir konnten Dinge erledigen, die wir sonst nicht schaffen», sagt Gunzinger. So habe er gemeinsam mit dem Team die Weine im Keller sortiert und kontrolliert, eine neue Beleuchtung installiert, Podeste aus Holz gebaut und im Restaurant drinnen die Wände neu gestrichen. Hellblau.

Noch fehlen dort die Vorhänge an den Fenstern und Bilder an den Wänden. Stören wird es keinen Gast, sie sitzen draussen auf der Terrasse. Drinnen steht auf einem Holztisch Geschirr aus Aluminium, dass das Team nutzt, um darin Take-away-Bestellungen abzufüllen. Was auf der Karte steht, können die Gäste auch nach Hause nehmen, wenn es regnet oder kalt ist. Die Nachfrage sei kleiner als noch letztes Jahr, sagt Gunzinger. Wohl auch, weil die Konkurrenz inzwischen grösser sei.

Gunzinger hofft, dass es nun mit der Impfung vorwärtsgeht und dass ab Juni oder Juli grössere Lockerungen möglich sind. «Die Gesellschaften machen einen grossen Teil unseres Geschäfts aus», sagt er. Er wirkt zuversichtlich, doch manchmal holen ihn sorgenvolle Gedanken wieder ein. Dann sagt er: «Ich habe Angst, dass die Ansteckungszahlen in der Schweiz wieder explodieren, wie es in anderen Ländern geschehen ist. Und dass es dann nochmals einen Lockdown gibt – in unserer Hochsaison, mitten im Sommer.»

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